Wie steht es um den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz?
Tödlicher Unfall ohne Zeugen
Ein Lkw-Fahrer wird bewusstlos neben seinem Fahrzeug aufgefunden und verstirbt im Krankenhaus. Niemand hat beobachtet, was sich zugetragen hat – handelt es sich um einen Arbeitsunfall? Der Vorfall: Rettungssanitäter wurden zu einem Kraftfahrer gerufen, der mit schweren Kopfverletzungen neben seinem Lkw lag. Dem Bericht der Sanitäter zufolge kam der Mann nach einiger Zeit zu sich und klagte über Kopfschmerzen und Schwindel. Die Ermittlungen ergaben, dass es zu dem Unfall gekommen war, während der Versicherte auf die Beladung seines Lkw gewartet hatte. Zeugen gab es nicht.
Der Lkw-Fahrer selbst konnte sich an das Unfallereignis nicht erinnern. Unklar blieb, ob er infolge von Schwindel und Kopfschmerzen ohnmächtig wurde oder ob sich Kopfschmerzen und Schwindel als Folge eines Sturzes entwickelt hatten. Der Verunfallte wurde ins Krankenhaus gebracht. Dort wurden unter anderem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und ein Hirnödem festgestellt, woran er wenige Tage später verstarb. Obwohl kein konkreter Unfallhergang festzustellen war, kam das Landessozialgericht (LSG) zu dem Ergebnis, dass ein Arbeitsunfall vorlag.
Sturz aus erheblicher Fallhöhe
Nach Auswertung aller Beweise war das LSG davon überzeugt, dass der Tod des Beschäftigten durch einen ebenerdigen Sturz gänzlich unwahrscheinlich war. Die massiven Kopfverletzungen sprachen für eine erhebliche Fallhöhe und damit für einen Sturz aus der Höhe der Fahrerkabine. Für einen anderen Unfallhergang gab es bei solch schweren Kopfverletzungen keinerlei Anhaltspunkte. Die nicht aufklärbare Frage, ob der Sturz aus dieser Höhe durch ein Stolpern oder Rutschen des Versicherten verursacht worden war oder möglicherweise durch einen Schwindelanfall – eine sogenannte innere Ursache –, sei für die rechtliche Bewertung des Ereignisses als Arbeitsunfall ohne Bedeutung, so das LSG.
Denn nach beiden Varianten handelte es sich um einen Arbeitsunfall: Zwar ist ein allein aus innerer Ursache stammendes Krankheitsgeschehen wie Schwindel oder Ohnmacht für sich betrachtet nicht als Arbeitsunfall anzusehen. Anders sieht es aus, wenn das Unfallereignis ohne die versicherte Tätigkeit nicht in derselben Art oder nicht mit ähnlich schweren Folgen eingetreten wäre – wie in diesem Fall. Dann liegt wegen der wesentlichen Mitursache ein Arbeitsunfall vor.
Der Umstand, dass sich der Sturz hier beim Ein- oder Aussteigen aus der Höhe der Fahrerkabine des Lkw ereignet haben musste, stellt daher einen wesentlich mitwirkenden Faktor aus der betrieblichen Sphäre dar, der die Schwere der eingetretenen Verletzungen maßgeblich bedingt hat. Der vom Kläger genutzte Lkw sei als Arbeitsgerät zu qualifizieren, da er ausschließlich für die versicherte Tätigkeit genutzt wurde, sodass Risiken, die sich aus dessen Nutzung ergeben, der betrieblichen Sphäre zuzuordnen sind, so das LSG (LSG Baden-Württemberg vom 27.06.2022, Az.: L 1 U 377/21).
Karl Heinz Schwirz, BGHM
Ausgabe 1/2023