Reha-Management

Das Leben nach dem Unfall gestalten

Ein kleiner Moment kann alles verändern: Unfälle haben für die Betroffenen oft gravierende Folgen. Handelt es sich um Wege- oder Arbeitsunfälle, unterstützt die BGHM ihre Versicherten mit vielfältigen Leistungen – immer mit dem Ziel, die Gesundheit sowie die berufliche und soziale Teilhabe bestmöglich wiederherzustellen.

Wie das gelingen kann, zeigt das Beispiel des heute 18-jährigen Lukas Zaunbrecher. Er verunglückte auf dem Weg in den Ausbildungsbetrieb schwer.

Gartenarbeit sei eigentlich nicht sein Ding, sagt Lukas. Dennoch lässt er sich für die Fotos zu diesem Beitrag fröhlich lachend im elterlichen Garten ablichten. Es ist für ihn keine Selbstverständlichkeit, dass er sich so frei und eigenständig auf dem heimischen Grundstück bewegen kann. Erst der Offroad-Elektrorollstuhl hat das möglich gemacht.

Sekundenbruchteile mit Folgen

Reha-Management
© BGHM/bundesfoto GbR, Fotograf: Geza Aschoff

Seit einem Unfall im September 2022 fehlen Lukas das linke Bein und Teile seines Beckenrings. Es war ein sonniger, etwas kühler Morgen. Der damals 16-Jährige fuhr mit dem Roller von seiner Heimatstadt, dem nordrhein-westfälischen Heinsberg aus, ins circa zwanzig Kilometer entfernte Wegberg. In einem dort ansässigen Autohaus absolvierte er damals eine Ausbildung zum Bürokaufmann. Die tiefstehende Sonne wurde ihm an diesem frühen Dienstag zum Verhängnis: Beim Abbiegen von der Landstraße übersah Lukas einen auf der Gegenspur fahrenden weißen SUV – und fuhr in diesen hinein.

Das ist der Unfallhergang, wie ihn die Polizei ermittelt hat. „Ich habe selbst keine Erinnerung mehr daran“, sagt Lukas. Ein paar Sekunden mit Folgen für sein weiteres Leben. Lukas wurde unmittelbar nach dem Unfall in die Uniklinik Aachen gebracht, dort wurden multiple Verletzungen diagnostiziert. Der linke Oberschenkelknochen war gebrochen, ebenso das Becken auf beiden Seiten, der Unterkiefer und ein Brustwirbel. Außerdem hatte Lukas massive Weichteilverletzungen davongetragen. Mehrere Operationen folgten, doch das linke Bein war nicht mehr zu retten. Auch ein Teil des linken Beckens musste amputiert werden.

Dorothea Blümel
Dorothea Blümel, Reha-Managerin der BGHM
© BGHM

„Als ich Lukas das erste Mal getroffen habe, war er noch kaum ansprechbar wegen all der Schmerzmittel, die er bekommen hatte“, erinnert sich Dorothea Blümel, Reha-Managerin bei der BGHM. Sie übernahm Lukasʼ Betreuung nur kurze Zeit nach dem Unfall. Denn er verunglückte auf dem Weg in den Ausbildungsbetrieb – damit handelte es sich um einen sogenannten Wegeunfall. Ebenso wie bei einem Arbeitsunfall greift dann nicht die Krankenversicherung, sondern die gesetzliche Unfallversicherung. In Lukasʼ Fall ist das die BGHM, bei der er als Auszubildender in einem Autohaus versichert ist.

Alles aus einer Hand

Sind Versicherte so schwer verletzt wie Lukas, werden sie von den Reha-Managerinnen und Reha-Managern der BGHM intensiv betreut. Unter dem Leitbild „Alles aus einer Hand“ finden sie in enger Absprache mit den Betroffenen und mit einem Netzwerk aus Dienstleistenden individuelle Lösungen für die Heilbehandlung, die gesundheitliche Rehabilitation sowie für die berufliche und soziale Teilhabe.

Für Lukas ging es zunächst um rein praktische Dinge: Ein Pflegebett musste her und die Versorgung mit Schmerzmitteln und Pflegematerialien sichergestellt werden. Seine Eltern reduzierten die Arbeitszeit, um für ihren Sohn da sein zu können – dafür bekamen sie Pflegegeld von der BGHM. „Dann ging es recht schnell auch schon mit ersten Therapien los“, sagt Blümel. Sie organisierte zunächst eine Kinder- und Jugendtherapeutin, die in der ersten Zeit regelmäßig zu Lukas nach Hause kam.

Denn der Unfall war ein dramatischer Einschnitt, für den Heranwachsenden genauso wie für seine Familie. Die therapeutische Begleitung half ihnen dabei, eine posttraumatische Belastungsstörung gar nicht erst entstehen zu lassen. „Hausbesuche sind in diesem Zusammenhang keine übliche Leistung“, sagt Blümel. „Ich musste lange suchen, bis ich jemanden gefunden hatte, der zu Lukas nach Hause kam. Aber ich hielt es hier für sehr wichtig.“

Ende 2022 begann Lukas mit Krankengymnastik, das war ein erster Schritt zurück in Richtung Mobilität, ebenso wie die Wohnungshilfe, die er einige Monate nach dem Unfall erhalten hat. So werden Versicherte darin unterstützt, trotz ihrer Einschränkungen Eigenständigkeit zurückzugewinnen und nach Möglichkeit im gewohnten Zuhause zu bleiben. Lukas wohnt nach wie vor im Haus seiner Eltern und möchte dort auch in den nächsten Jahren bleiben.

Im November 2022, nur wenige Wochen nach dem Unfall, kam deshalb ein Architekt in das Einfamilienhaus. Er machte Vorschläge für sinnvolle Umbauten, damit Lukas sich auch mit Rollstuhl gut darin bewegen kann. Ein Außenaufzug etwa, mit dem Lukas problemlos zwischen den beiden Etagen des Hauses hin- und herwechseln kann.

Außerdem wurde das Bad umgebaut und der Eingangsbereich sowie der Aufgang zur Terrasse wurden von der Höhe her einander angeglichen. Sollte in Zukunft Bedarf entstehen, wäre auch der rollstuhlgerechte Umbau der Küche möglich. Bisher mache sich der Teenager allenfalls mal ein Spiegelei selbst, sagt Blümel, aber vielleicht entwickele sich das Interesse am Kochen ja noch.

Lukas Zaunbrecher
Mit dem Außenaufzug kann Lukas zwischen den beiden Etagen des Einfamilienhauses wechseln.
© BGHM/bundesfoto GbR, Fotograf: Geza Aschoff

Mit allen geeigneten Mitteln

Für Lukas ist es aktuell viel wichtiger, wieder unter Leuten zu sein. „Mir ist das anfangs schwergefallen. Weil ich nicht mehr konnte wie früher, habe ich mich erst mal sehr zurückgezogen“, sagt er heute. Selbstständigkeit und Mobilität wiederzuerlangen, war deshalb sein wichtigstes Ziel. Ganz besonders habe ihm dabei der geländegängige Rollstuhl geholfen. Kirmes auf der Wiese? Beim Fußballspiel auf dem Bolzplatz zuschauen? Das ist heute kein Problem mehr, Lukas ist dabei. Auch Ausflüge in den Wald sind wieder möglich. Ohnehin ist der 18-Jährige sehr aktiv. Er ist Co- Trainer im örtlichen Fußballverein, geht mit seinen Freunden regelmäßig feiern und lässt sich auch den rheinländischen Karneval nicht entgehen.

Lukas Zaunbrecher
Selbstständig im Garten bewegen: Der Offroad-Elektrorollstuhl macht es möglich.
© BGHM/bundesfoto GbR, Fotograf: Geza Aschoff

Neu für sich entdeckt hat er den Rollstuhlbasketball. Er trainiert einmal in der Woche mit seiner Mannschaft. Bleibt er längerfristig dabei, wird ihm die BGHM einen Sportrollstuhl zur Verfügung stellen. Denn neben der physischen und psychischen Genesung achten die Reha-Managerinnen und -Manager ganz besonders auch auf die soziale Teilhabe. Die Versicherten sollen Liebgewonnenes aus dem Leben vor dem Unfall nicht einfach aufgeben müssen und ebenso neuen Leidenschaften folgen können.

„Unser Augenmerk liegt darauf, dass wir mit allen geeigneten Mitteln helfen, mit dem Schicksalsschlag umzugehen“, sagt Blümel. „Wir gehen ja nicht zum Versicherten hin und zählen erst mal auf, was alles nicht mehr geht. Stattdessen versuchen wir gemeinsam, das Leben nach dem Unfall bestmöglich zu gestalten.“ Das sei in Lukasʼ Fall auf vielen Ebenen gelungen. Auch deshalb, weil er, ebenso wie seine Familie, sehr positiv an die Heilbehandlung und die Therapien herangegangen ist. „Lukas und seine Eltern haben den Blick immer nach vorne gerichtet“, so Blümel.

Große Ziele

Lukas ist weit gekommen in den vergangenen zwei Jahren. Und er hat viel vor. Er übt zum Beispiel, mit einer Prothese zu gehen, damit er nicht mehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen ist. Dafür ist ihm eine Beinprothese mit einem sogenannten Beckenkorb, der den fehlenden Teil des Beckens ersetzt, angepasst worden. Im Frühjahr 2024 war er für mehrere Wochen in einer Reha, um das Laufen mit der neuen Prothese zu lernen. Das große Ziel: Lukas möchte auch draußen damit unterwegs sein. „Ich will immer selbstständiger werden und nicht dauernd auf Hilfe angewiesen sein“, sagt er.

Auch die Rehabilitation geht weiter. Mit Ergotherapie versucht er zum Beispiel, die Phantomschmerzen in den Griff zu bekommen. Schon seit August 2024 ist Lukas wieder in Ausbildung – im ursprünglichen Betrieb und in der gewohnten Berufsschule. Weil er nach wie vor mehrere Stunden in der Woche Therapien und Reha-Maßnahmen absolviert, macht er die Lehre aber mittlerweile in Teilzeit.

Evelyn Schäfer, seit Januar 2024 aufgrund einer Änderung von Zuständigkeiten Lukasʼ Reha-Managerin, unterstützt ihn nach wie vor auch bei der beruflichen Wiedereingliederung. Wäre eine Weiterarbeit am alten Arbeitsplatz oder eine Umsetzung innerhalb des Betriebs nicht möglich gewesen, hätte ihn die BGHM bei der Suche nach einer geeigneten Einsatzmöglichkeit oder Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung unterstützt.

Bis zum Abschluss seiner Ausbildung kann er im Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben weiterhin auf die Unterstützung der BGHM setzen. Ansprüche auf medizinische Heilbehandlung sowie die Versorgung mit Hilfsmitteln wie Prothesen hat er sogar ein Leben lang.

Lukas Zaunbrecher
Mithilfe der eingebauten Rampe kann Lukas eigenständig ins Auto fahren.
© BGHM/bundesfoto GbR, Fotograf: Geza Aschoff

Ein gemeinsamer Weg

Für die Versorgung seit dem Unfall zieht Dirk Zaunbrecher, Lukasʼ Vater, ein positives Fazit, was die Unterstützung der BGHM angeht. „Wir waren ja überwiegend im Kontakt mit Frau Blümel und unserem Ansprechpartner in der Hilfsmittelabteilung, Stephan Holterbosch. Das hat hervorragend geklappt“, sagt er. Bei telefonischen Anfragen seien sie in den meisten Fällen binnen kürzester Zeit zurückgerufen und Absprachen zu hundert Prozent eingehalten worden. Bemerkenswert findet Zaunbrecher, wie offen die Reha-Managerinnen und -Manager auch für die Mitarbeit der Angehörigen sind.

„Ich habe viel selbst recherchiert, etwa zu Behandlungsmöglichkeiten oder Hilfsmitteln, die eine Unterstützung für Lukas sein könnten. Wir konnten mit Frau Blümel über jeden Vorschlag sprechen. Gemeinsam haben wir abgewogen, ob das Hilfsmittel oder die Therapie Lukas nützen könnte, dann habe ich den Antrag gestellt“, sagt Zaunbrecher. Es werden wohl noch einige Reha-Maßnahmen und Herausforderungen auf Lukasʼ Weg zu einem selbstständigen Leben folgen. Dabei immer an der Seite von Familie Zaunbrecher: das Reha-Management der BGHM.

Lisa Bergmann, BGHM

Ausgabe 1/2025