Wie Lärm auf den Körper wirkt – und was davor schützt
Schwerpunktthema: Lärm
Lärm schadet dem Gehör – und hat auch andere weitreichende Folgen. Die BGHM hat für den Schutz vor Lärm am Arbeitsplatz die Kampagne „Laut ist out!“ gestartet. Sie will Arbeitsschutz-Verantwortliche und Beschäftigte für die Gefahren des Lärms sensibilisieren und aufzeigen, wie Lärm möglichst effektiv gemindert werden kann.
Lärm ist zunächst eine Gefahr für das Hörvermögen, er kann langfristig das Innenohr schädigen. Ab einer bestimmten Lautstärke besteht die Gefahr, bei langjähriger Lärmeinwirkung(LEX,8h ≥ 85 dB(A)) einen irreversiblen Gehörschaden zu erleiden. Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland circa vier Millionen Arbeitsplätze, an denen solche Werte auftreten. Wenn der Hörverlust bestimmte Werte erreicht oder überschreitet und Folge der beruflichen Tätigkeit ist, wird das in Deutschland als Berufskrankheit (BK) „Lärm“ anerkannt. Diese BK wurde bereits in die zweite Berufskrankheitenverordnung von 1929 aufgenommen.
Zwei Ursachen für Hörverlust
Wie alles am menschlichen Körper altert auch das Gehör. So hat zum Beispiel jeder vierte aller 60-jährigen Männer bei 4.000 Hertz einen Hörverlust von 32 dB – auch ohne im Leben starken Lärmeinwirkungen ausgesetzt gewesen zu sein. In der Gruppe der 30-Jährigen beträgt der altersbedingte Hörverlust dagegen nur kaum messbare 5 dB. Während also mit 30 Jahren der altersbedingte Hörverlust gerade beginnt, kann der lärmbedingte Hörverlust bereits so weit fortgeschritten sein, dass persönliche Schutzmaßnahmen gar nicht mehr greifen können. Gegen den altersbedingten Hörverlust gibt es, im Gegensatz zum lärmbedingten Hörverlust, keine vorbeugenden Maßnahmen. Wer also vermeiden möchte, von lärmbedingtem Hörverlust betroffen zu sein, muss bereits in jungen Jahren Schutzmaßnahmen ergreifen. Daher wendet sich die BGHM-Kampagne „Laut ist out!“ (siehe Gut-zuwissen-Kasten) besonders an junge Menschen und an Personen, die mit jungen Menschen arbeiten, wie zum Beispiel Ausbildende, Meister und Vorgesetzte.
Belastungen auch für Herz und Kreislauf
Das Ohr und, damit aufs engste verknüpft, das Gehirn sind immer „auf Empfang“. Letzteres bewertet akustische Signale nach der Geräuschcharakteristik auf seine Bedeutung. Besonders wenn das Gehirn zu dem Ergebnis kommt, dass „etwas nicht stimmt“, schüttet der Körper vorsorglich die Hormone Adrenalin und Noradrenalin aus, was zu einer Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks führt – eine Stressreaktion. Diese hat erst einmal nichts mit dem Schalldruckpegel, also der Lautstärke der akustischen Signale, zu tun, sondern damit, dass der Schall überhaupt einen Informationsgehalt hat. Diese Wirkung, die nicht das Ohr oder das Gehör betrifft, wird mit dem Begriff „extra-aurale Lärmwirkungen“ beschrieben.
Viele kennen das aus dem Großraumbüro. Die Konzentration auf die eigene Arbeit fällt schwer, wenn zum Beispiel Gesprächsfetzen an das Ohr und damit das Gehirn kommen und analysiert werden wollen. Der Arbeitsplatz wird bewusst oder unbewusst zur Belastung. Nicht nur in der Werkstatt und der Industriehalle: Auch Bürobeschäftigte können demnach unter extra-auralen Folgen von Lärmeinwirkung leiden.
Lärm ist auch ein Faktor dafür, keine Fachkräfte zu bekommen, was viele Unternehmen vor große Herausforderungen stellt. Das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) hat in einer Befragung von mehr als 800 Präventions-Fachleuten festgestellt, dass in 17 von 42 untersuchten Branchen Lärm ein relevantes Thema ist. In 15 dieser 17 Branchen besteht ein Fachkräftemangel. Dem IFA zufolge kann Lärm ein Indiz für mangelnden Arbeitsschutz sein – was Berufe und Branchen für Fachkräfte unattraktiv machen könne.
Vorsorge und Gehörschutz
Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sind dazu verpflichtet, ihre Beschäftigten vor Risiken am Arbeitsplatz so gut wie möglich zu schützen. Dazu zählt zum Beispiel die arbeitsmedizinische Vorsorge. Sie findet entweder als Wunschvorsorge auf Wunsch des oder der Versicherten, ab einem LEX,8h 80 dB(A) als Angebots- und als Pflichtvorsorge ab einem LEX,8h ≥ 85 dB(A) statt. Ob zusätzlich eine erweiterte Vorsorge nach Lärm II oder Lärm III angeraten ist, hängt vom tatsächlichen individuellen Hörverlust ab.
Betriebsärzte oder -ärztinnen unterliegen auch bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge der ärztlichen Schweigepflicht und dürfen keine individuellen Ergebnisse bekanntgeben. Sie sind aber dazu verpflichtet, die Erkenntnisse aus der Vorsorge auszuwerten. Sollten sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Maßnahmen des Arbeitsschutzes in einem Betrieb nicht ausreichen, so haben sie dies dem Arbeitgeber mitzuteilen und für die bereits bestehenden Maßnahmen Verbesserungen oder Änderungen vorzuschlagen. Auch wenn sich das Gehör durch Vorsorge nicht verbessert – schlechte Untersuchungsergebnisse sollten Anlass sein, die Lärmschutzmaßnahmen im Betrieb zu prüfen.
Dem Vorgehen bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge lag bisher der Grundsatz für arbeitsmedizinische Untersuchungen G20 „Lärm“ zugrunde. Er wurde 1971 eingeführt und blieb seitdem unverändert. Neuere arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse haben allerdings gezeigt, dass die Kriterien für die erweiterten Vorsorgen nach Lärm II und Lärm III veraltet waren. In den 2022 neu veröffentlichten „DGUV Empfehlungen für arbeitsmedizinische Beratungen und Untersuchungen“ wurden speziell auch in der Altersgruppe der bis 30-Jährigen die Auslösewerte für die Lärm-II- und Lärm-III-Untersuchungen abgesenkt. Diese sind in der neuen DGUV Empfehlung „Lärm“ beschrieben.
Zum Schutz vor Lärm in Bereichen, in denen der Lärmpegel den Wert LEX,8h ≥ 85 dB(A) übersteigt und nicht vermieden oder reduziert werden kann, müssen Arbeitgeber Persönliche Schutzausrüstung (PSA) zur Verfügung stellen. Die Beschäftigten müssen diese PSA bestimmungsgemäß verwenden. Arbeitgeber haben die bestimmungsgemäße Verwendung in Unterweisungen mit praktischen Übungen zu vermitteln. Diese Unterweisung können sie außerdem nutzen, um die Beschäftigten für die Gefahren von Lärm zu sensibilisieren.
Mit den Änderungen der PSA-Verordnung im Jahr 2016 ist Gehörschutz in die PSA-Kategorie 3 eingeordnet worden. Das bedeutet, dass die Ausrüstung Schutz vor tödlichen Gefahren und irreversiblen Schäden bietet und sowohl bei der Herstellung als auch bei der Anschaffung strengere Kriterien einzuhalten sind, als dies bei PSA der Kategorie 1 und 2 der Fall ist.
Doch auch die beste Vorsorge und das regelmäßige Tragen der PSA bei der Arbeit sind wirkungslos, wenn das Gehör in der Freizeit zu viel Lärm ausgesetzt ist. Denn nicht nur Lautes, das von einem Winkelschleifer am Arbeitsplatz kommt, ist schlecht für das Gehör. Auch wenn die private Schlagzeugstunde die Quelle ist, kann Lärm schädlich sein. Wer also so lange wie möglich ein einwandfreies Gehör behalten will, sollte sich auch nach Feierabend vor Lärm schützen.
Peter Hammelbacher, BGHM